Freitag, 3. Mai 2013

Projekt "Orangen auf weisser Platte" I - 02.05.13

Folien des Abends:



Die Frustration, die sich nach der harten Auseinandersetzung mit der vermeintlich "einfachen" Aufgabe "Male eine weiße Kugel auf weißer Unterlage in direktem Licht" zwangsläufig einstellen muss, war zugegebenermassen ein bißchen absichtlich und natürlich pädagogisch kalkuliert -  aber nicht böse gemeint ...;-)

Diese Aufgabe, übrigens ein Klassiker der traditionellen, akademischen Kunstausbildung, ist für PerfektionistInnen schier zum verzweifeln und bietet Stoff für Jahre Übung und Beschäftigung mit Malereitechnik und Wissen um das Mysterium des Lichts und des Raums. 
Aber genau genommen und an sich ist das Thema andererseits auch dröge und langweilig. Vielleicht sogar antiquiert. Aber vor allem nicht wirklich das, wovon man träumt, wenn man das Malen lernen möchte....Das ist mir bewusst. 

Mit gewissem Hintersinn habe ich euch dennoch bestens Wissens und Gewissens diese Aufgabe gestellt und möchte gerne, dass ihr sie für immer in Erinnerung behaltet:

- Das Farbthema "Weißausmischungen farbiger Grauwerte" ist in jedem Fall und in jedem Thema/Genre nützlich. Welch enormer Variantenreichtum aus den drei Grundfarben + Weiss entspringt, ist eine wichtige und grundlegende Erfahrung, die sich auf alles Kommende anwenden lässt. 

Lasst generell mehr Mut zur Farbe aufkommen, übertreibt die Tonalität der Weissausmischungen durchaus bis ins Irreale, nachdem ihr genug mit der Form gerungen habt. Ihr habt gemerkt, wenn man sich von der Konstruktions- und Formperfektionierung allzu sehr gefangen nehmen lässt, ist Schluss mit Farbe und Malerei und alles wird eher noch gräulicher...

Also Mut, bis zum Irrealis (aber bitte ohne illegale Hilfsmittel...)



- Alles, was in Zukunft annähernd das Thema gerundete Volumina im Raum anspielt (Stilleben, Menschendarstellung von Kopf bis Fuß, ja selbst im gewissen Sinn auch die Landschaftsmalerei, wenn sie einigermassen naturalistisch daherkommt), funktioniert nach diesen beobachteten realtiv einfachen Regeln und Gesetzen. Es gibt in der Realität sonst keine weiteren zusätzlichen Beobachtungen an Schatten-/Lichtverhältnissen, keine anderen Regeln der Konstruktion.


- Am Anfang zieht die Perfektion an, die die Kugel aufweist. Das Ei als Thema wäre vielleicht noch eine Schippe draufgelegt, denn das ist eine Form, die noch genauer beobachtet werden muss. Wir entdecken sofort, wenn die Kurven und unterschiedlichen Radien der Form und der Schatten irgendwie nicht stimmen. Wer Lust auf Frust hat, darf das gerne immer wieder versuchen. Oder zerknülltes Papier....
Letztlich aber lohnte sich die Auseinandersetzung, die Beobachtung und der Versuch unbedingt, ihr werdet es, auf die kommenden Themen übertragen, hoffentlich merken, dass eure Beobachtung daran geschult ist. Eure Schattenkritik ist jetzt profund, da kann euch keiner mehr so leicht etwas vormachen.

Und man kann das Thema von Zeit zu Zeit über Jahre hin immer mal wieder versuchen. Es wird immer besser klappen, versprochen, wenn das Wissen und das Können wachsen. Licht und Schatten sind ein Leben lang unterhaltsames Beobachtungsterrain.


- Wer sich vorgenommen hat zu malen, wie ein Fotoapparat die Welt sieht, also irgendwie die Wirklichkeit kopierend, also wieauchimmer "realistisch", kommt um die Auseinandersetzung mit diesen Anforderungen (kulturell entwickelte und akzeptierte Regeln der Raumdarstellung, Gesetze der Physik der visuellen Erscheinungen, Technik der Malerei, Handwerk usw.) nicht herum, wird aber entdecken, dass man am Anfang da sehr rasch an seine Grenzen stösst.
(Kulturhistorisches Nebenbei: Man mache sich nur nebenbei bewusst, dass unsere Form der Raumwahrnehmung und -darstellung ein kultürliches Phänomen ist, kein naturgegebenes! Unser Blick ist geschichtlich und entwickelt sich weiter. Unser Modell von Raum hat sich seit der Renaissance weiterentwickelt bis zur Unvorstellbarkeit. Fragt notfalls Herrn Hawking...)


Daß wir also beim Malen der beleuchteten Kugel mehr oder weniger rasch an unsere Grenzen stossen, ist gut so!

Meine Absicht war an sich gut. Irgendwann sollte euch beim xten Mal Malen der Kugel die Hutschnur platzen (mental) und euch händeringend nach Abkürzungen, Vereinfachungen, Reduktionen, Tricks etc. was auch immer suchen lassen. Oder euch wenigstens das Wort Perfektion verleiden...oder zumindest fragwürdig erscheinen lassen.

Hieran kann und sollte Kreativität und Eigensinn (meist miteinander verbunden...) erwachen.
Und darum geht es in der Malerei.

Vielleicht habt ihr unterwegs und malend auch schon gemerkt, dass euer Gemälde wichtiger ist, als die Treue zur Vorlage, dass eure mehr oder weniger wohldosierte Willkür das Bild bestimmt, dass man sich vom Abbildungszwang befreien kann, dass am Ende ja eh nur die Leinwand übrigbleibt und das, was ihr darauf entschieden habt, weil die Orangen faulen oder werden gegessen, die Modelle gehen, wohin auch immer - was bleibt, ist das Gemälde. Ars longa vita brevis. 
Womit wir der Sache, die die Malerei heute ist, sehr nahe kommen.

Nebenbei: Die Aufgabe "Weiße Kugel auf Weiß" ist ja historisch nachweislich lösbar, aber mit viel Fleiss und Schweiss - und am Ende wirds, sofern optimal erreicht,  im besten Fall landläufig mit einem Foto verwechselt ("och, alle Achtung, das sieht ja aus wie fotografiert" ). Die MalerIn, die das aber als Kompliment begreift, sollte über ihre Absichten und Ziele dringlich nachdenken.. -  und frage sich, wozu all die eitle Mühe? In Zehntelsekunden kommts perfekter von der billigsten Digitalcam aus dem Drucker...na toll...Ein VHS-Fotokurs tuts da auch.

(Schlösse sich eine ausschweifende Reflexion der Begriffe Realität in der Malerei und vor allem Perfektion an.)


- Meiner Meinung nach sucht die Malerei, spätestens seit der Erfindung der Fotografie im 19.Jh, etwas anderes als die Konkurrenz zur perfekten naturalistischen Abbildung. Die Entwicklung der Malereigeschichte seither zeigt das ja überdeutlich.
Den Impressionisten über Cezanne und von ihm angeregt den Kubisten bis heute den Isten aller Art, geht es in der Malerei um etwas anderes. Um was - das lasse ich vorerst einmal unbenannt. Wir begeben uns ab heute auf den Pfad, das ansatzweise für uns in einzelnen Projekten nachzuvollziehen.

Beispiele (zugegebenermassen eine Auswahl meist meiner Lieblinge):

Paul Cezanne:










Pierre Bonnard: 







George Braque:






Also ab 2. Mai 2013: "Orangen auf weißer Platte auf weißem Tischtuch auf weissem Tisch in dunklem Raum an trübem Vorfrühlingsabend in dunkler Stadt..." so in etwa das neue Thema. 
Aber vor allem:


Endlich richtig FARBE!

Dominanter Farbton ORANGE, komplementärer Gegenspieler BLAU, allerlei Brechungen des Orange in warm-erdigen Schattentönen in angebläuten Grüngrau, Lichter in glänzenden Gelbwerten, Vermittlung der Schatten und Lichter durch gebrannte Sienatöne und dazwischen unsere bekannten Weißausmischungen - wenn das kein farbiges Bild wird, was dann?


So etwa:



Oder so: 


Oder anders...bin gespannt....

Wir bleiben bei einer engen Palette, um maximal einen Ton (ein Erdpigment) erweitert:




An diesem Abend begannen wir mit der Entwicklung eines farbigen Stillebens, das wir aber nicht genialisch adhoc direkt und spontan aus der Tube auf die Leinwand schütteln, sondern in überlegten Schritten aus vielen einzelnen Entscheidungen aufbauen. Glaubt es mir, dass das letzten Endes doch schneller zum Ziel führt, als die ungeduldigen Hierundjetzt-Versuche, die meist in gräulichen Sumpfereien oder unüberlegten Kompositionen enden, die einem die Zähne ziehen...


Ein gutes Gemälde ist die Summe aus vielen einzelnen Entscheidungen. 
Selbst die scheinbar spontan hingeworfenen Gemälde (s.o. z.B. Pierre Bonnard) - die meist eine sehr sehr lange Vorgeschichte haben, die man dem Bild eben nur in seiner gekonnten Spontaneität ansieht. Dahinter steckt erst Recht und viel zuvor geleistete Seh-Arbeit...
(Kulturhistorisches Nebenbei: Alles, was ihr in Kunstbüchern und-katalogen, Ausstellungen, Museen etc. an Malerei je gesehen und in eurer Erinnerung gespeichert habt, ist niemals je einfach so spontan von ungeübter Hand in irgendeinem übernatürlichen Anfall entstanden. Raphael hat gelernt. Van Gogh hat hart geschuftet. Selbst Picasso hat geübt. Also: Nie und nirgends gibt es das, auch wenn man sich bei diesem oder jener Legenden erzählt - diese Vorstellung der Unmittelbarkeit - Pinsel angesetzt, Meisterwerk aus dem Ärmel geschüttelt - ist reine Romantik und Kultwahn, den man meist nur zur eigenen Ruhmsteigerung erfunden hat....entschuldigung, ich kriege an der Stelle immer tourettes...)


SCHRITT 1:

Hier werden die wichtigsten und folgenreichsten Entscheidungen getroffen:
(Leider ist das die Phase, in der andere Beobachter meinen, man schaffe nix...und das über Stunden, Tage, zuweilen Wochen...)

Welchen Standpunkt nehme ich ein? Und damit später der Betrachter, der meine Stelle und meinen Blick einnehmen soll:
- Was sollen ich/er/sie/man/wir/ihr/sie SEHEN? Wohin lenke ich den Blick?
- Und wenn ja, was ist das Drama, die Geschichte, der plot, auf den ich damit hinaus will?
- Was soll das Bild überhaupt? Was thematisiert es eigentlich? Geht es nur um reale Orangen? Da  schenke ich aber doch jemandem lieber ein Kilo aus Kaufland in echt, die sind echt richtig realistisch und schmecken auch noch besser als Acrylfarbe...oder was meine ich eigentlich:
Das Wundern über die Farben und deren Kraft? Das Wundern über die Formen? Beides? Das Licht im Raum? Die Architektur der Schattenmassen? Die lebendigen Texturen, das Funkeln der Lichter auf der Orangenhaut, die erdigen und doch glänzenden Schatten und Spiegelungen? Die Blau darin, subtil? All das Runde, Gebogene, Gefaltete, Porige nebeneinander? Und im Gegenüber meine aufgeregten, das Gesehene und Gefühlte und Gedachte aufgreifenden Pinselspuren, oder die Materialität, die ich wähle und bewege?

Mit diesen Gedanken baue man seinen Vorwurf, seinen Gegenstand, seinen Sehanlass, kurz: z.B. sein Modell oder Stilleben auf und gehe um es herum, gehe in die Knie und/oder auf die Zehenspitzen, schaue von unten, von oben, von nah und von weit, schaue scharf oder mit entspanntem Auge, bei grellem oder schwachem Licht, durch allerlei unterschiedliche Formate des FINDERS aus Pappe (der fälschlicherweise Sucher genannt wird) usw.



Dann empfehle ich kleine Skribbels der Komposition, die man mit Hilfe eines Finders (2 L-förmige Pappstreifen tun es) aus dem aus unterschiedlicher Perspektive betrachteten Aufbau nehme, verändere die Breite-zu-Höhe-Relationen des Finders, spiele die HellDunkel- oder Form- oder Mengenverteilungen auf diesen schnell und grob mit Bleistift mehrmals durch, beachte die unterschiedliche Wirkung des FORMATS und die Chancen und Gefahren der Verteilung darauf.

Die kleinen Zeichnungen sollten max. 3-4 cm gross sein (sog. Daumennagelskizzen oder thumbnails) und auf keinen Fall in Formdetails gehen, sondern nur grob der Hauptmassen oder Flächen der Komposition zeigen.

Vorteil:
90% seiner Ideen braucht man nie mehr mühselig zu malen um hernach festzustellen, dass sie mit viel Kraftvergeudung trotzdem irgendwie langweilig sind oder sonstwie nicht funktionieren. Viel Kraft, viel Zeit, Material und Lagerfläche gespart!
Man malt nur, was einem irgendwie zu stimmen scheint auf den ersten Blick - und der ist oft entscheidend.
Also: Skizziert auf diese vorgeschlagene Weise, dann macht etwas anderes und kommt etwas später zu euren Skribbels zurück, ich wette, dass es 1-3 Skribbels gibt, die euren Blick anziehen: Diese lohnt es sich, etwas grösser in dem richtigen Höhe-zu-Breite-Verhältnis etwas ausführlicher zu zeichnen.
Was dann immer noch stimmt, lohnt, gemalt zu werden!

Konventionelles in der Komposition ist OK und sollte man sich lernend gestatten, die Methode eignet sich aber auch dazu, ausgefallenere Lösungen durchzuspielen. Kost ja nicht viel...


Was für die Komposition gilt, kann man auch mit den Farben machen. 
Kleinformatige Studien eben nicht der Form, sondern nur des Klanges, des Zusammenspiels der Farben.
Man kann die identifizierten Farben mit den Fingern auftupfen und ineinanderreiben, um zu sehen, ob sie "orangiges" haben oder "orangenaufporzellanplattenschattiges". So erspart man sich stundenlanges erfolgloses Gesumpfe auf der Leinwand, die man nur dann eines Tages wegwerfen muss, weil sie den Augen weh tut...




Nachdem man sich so allmählich den Form- und Farbklang erarbeitet und ausprobiert hat (das nennt man "Studien"), kann man sich schon viel besser ausgerüstet und viel bewusster an die finale Komposition wagen. Auch hier nicht ins Detail, sondern nur den Grundklang!

Es ist nützlich, einige Kompositionsideen grob als Studien in kleinem Format zu entwickeln (mit grobem Pinselstrich und fleckigen Formen), bevor man an ein grosses Leinwandformat geht.





Wir sehen uns tatsächlich erst wieder in 14 Tagen, manche von euch sogar erst wieder nach den Pfingstferien - was lange hin ist.
Ich werde also die nächsten Schritte 2-4 im Laufe der nächsten Wochen hier beschreiben und so dokumentieren, dass ihr daraus Anregungen und Ansätze für die Hausaufgabe entnehmen könnt.

Die Hausaufgabe besteht ja, wie oben gesagt, darin, ein rel. großformatiges Gemälde (min. A3, max. 1 qm) zu konzipieren und umzusetzen, das "Orangen auf einer Porzellanplatte....." zeigt.
Gerne möchte ich in 4 Wochen irgendwie alle Schritte sehen, also eure Vorbereitung in Daumennagelskizzen, Farbstudien, Studien, Konzepten, evtl. auch Fotos des Prozesses, oder wie ihr den Standpunkt oder das Drama entwickelt habt (geht mit Digitalkamera ganz gut)




 Ich werde künftig den sog. FOLIENPOOL in jeder Stunde weiterpublizieren, dass man sich immer wieder die erarbeiteten Grundlagen noch einmal schnell vor Augen führen kann:






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